Wie der deutsche Mittelstand große Visionen ganz praktisch umsetzt, erläuterte Alexander Gerfer, CTO der Würth Elektronik eiSos Gruppe, auf einem von FOCUS-Chefredakteurin Franziska Reich moderierten Panel Talk im Rahmen des „DLD Zukunftslunch“: Zusammen mit Bürkert Fluid Control Systems hat der Hersteller elektronischer und elektromechanischer Bauelemente eine Anzuchtstation entwickelt, mit der sich Pflanzen an jedem Ort kultivieren lassen – auch auf fremden Planeten.
Die Veranstaltung begann mit einer düsteren Zukunftsvision: Zu sehen war ein Ausschnitt aus dem Spielfilm-Klassiker „Lautlos im Weltraum“, der von einer missglückten Rettung der letzten Wälder der Erde in einem Raumschiff erzählt. Die Natur auf dem Heimatplaneten ist in der Story bereits weitgehend zerstört. Glücklicherweise ist aus dieser Fiktion keine Realität geworden, aber über Landwirtschaft im Weltraum wird bereits intensiv nachgedacht: Die gesunde Ernährung von Expeditionsmitgliedern ist eine der Herausforderungen, die es beim Flug zum Mars zu meistern gilt. Gelingen könnte dies mit Space Farming, also einem Anbau in mitgeführten Gewächshäusern. Auf seiner interplanetaren Reise kann das Raumschiff aber nur geringe Mengen an Wasser und Dünger mitnehmen. Energie ist ebenfalls sehr knapp, genauso wie die Zeit der Astronauten. Möglich wäre die extraterrestrische Pflanzenproduktion mit einem automatisch arbeitenden, autarken und hocheffizienten Mini-Biotop, wie es von Würth Elektronik und Bürkert Fluid Control Systems entwickelt wurde: eine „Breeding Station“, zur Vorkultivierung von Stecklingen und Sämlingen, die unter kontrollierter Licht- und Nährstoffversorgung prächtig gedeihen, und die laut Gerfer sogar schon auf das Interesse in der Raumfahrt gestoßen ist.
Eine kleine Welt für sich
„Dieses System arbeitet in einem geschlossenen System hydrophonisch, also ohne Erde“, erläuterte der Science-Fiction-Fan seit Kindheitstagen, Alexander Gerfer, auf dem Panel Talk. „Die Mikroklimata lassen sich individuell regulieren: Temperatur, Luftfeuchtigkeit und CO2-Konzentration können für die jeweilige Pflanze optimiert werden.“ Das funktioniere an jedem Ort der Welt – und sogar auf fremden Welten. Auf Mutter Erde ergäben sich interessante Kooperationsmöglichkeiten, zum Beispiel mit CO2-emittierenden Industriebetrieben, für die solche Breeding Stations als CO2-Senke fungieren können. Erste CO2-Zertifizierungen seien bereits angelaufen.
Nährstoffe werden bei der Breeding Station vollautomatisch über das Bewässerungssystem zugeführt. Durch konsequentes Recycling können im Vergleich zu konventionellen Methoden 95 Prozent Wasser und 39 Prozent Düngemittel eingespart werden. Besonders wichtig für den energiesparenden Betrieb ist eine hocheffiziente Beleuchtung.
Maßgeschneiderte Beleuchtungstechnik
Diese Technologie ist für Würth Elektronik nichts Neues: Im Rahmen der Entwicklung so genannter Horticulture-LEDs forscht das Unternehmen seit Jahren an „Lichtrezepten“, die das Pflanzenwachstum gezielt steuern. Weil man mit LEDs praktisch jeden Farbton herstellen kann, bekommt jede Pflanze genau das Lichtrezept, mit dem sie am besten wächst. Alexander Gerfer: „Die Variabilität der erzeugten Lichtwellenlängen erlaubt also die gezielte Steuerung von Pflanzeneigenschaften.“ Außerdem wird keine Energie für Licht verschwendet, das die Pflanze gar nicht verwerten kann. Schon in der Vergangenheit hatte Würth Elektronik an ähnlichen Projekten mit Algenfarmen und Ernterobotern gearbeitet.
Landwirtschaft im Zeichen des Klimawandels
Das Gemeinschaftsprojekt Breeding Station hat deshalb auch und vor allem für die Landwirtschaft auf Mutter Erde große Bedeutung, denn auch hier gibt es große Herausforderungen. Klimawandel, Landverknappung und steigende CO2-Preise führen die traditionelle Landwirtschaft an ihre Grenzen. Die Zahlen sind tatsächlich alarmierend: Deutschland hat zwischen 2002 und 2022 rund 15,2 Milliarden Tonnen Wasser verloren, das sind etwa 760 Millionen Tonnen jährlich.[1] Zwischen 1992 und 2023 hat die versiegelte Fläche in Deutschland um insgesamt 5594 km² zugenommen.[2] Zwischen 2000 und 2022 musste die globale Landwirtschaft insgesamt 91 Millionen Hektar Agrarland einbüßen.[3] Klar ist: Um die rasant wachsende Erdbevölkerung unter den schwierigen Bedingungen des Klimawandels satt bekommen zu können, sind neue ressourcensparende Anbaumethoden dringend erforderlich. Projekte wie die Breeding Station zeigen, dass die Probleme unserer Zeit lösbar sind.
Als vollen Erfolg verbucht denn auch Alessia Sinzger, CCO beim Veranstalter DLD, den Panel Talk: „Die interdisziplinäre Vernetzung und die Diskussion des Zukunftspotenzials von Innovationen sind die Kerngedanken von DLD. Die Breeding Station ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie Kollaboration und kreative Zusammenarbeit uns neue Perspektiven in der Landwirtschaft eröffnen.“
[1] Quelle: GFZ
[1] Quelle: Umweltbundesamt
[1] Quelle: topagrar